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»Aber Gerry. Wie kannst du Angst vor Autismus haben. Das ist diskriminierend!!!111elf«, werden nun einige voreilige Schlüsse ziehen, weil sie nicht weiter als den Titel lesen. Aber es geht nicht um die Angst vor Autismus und Autisten. Daher möchte ich, dass ihr weiter lest und vielleicht versteht, worum es mir geht.
Autismus hat viele Spektren. Ich glaube, dass die Spektren, die am meisten in den Köpfen sind, sind die Fälle, wo Autisten Dinge immer im gleichen Ablauf wiederholen. Oder, dass sie auf etwas fixiert sind. Diese sind auch durch die Medien teilweise sehr, sehr präsent.
Aber Autismus ist so breit gefächert, dass es nicht den einen Autismus gibt. Es gibt viele Varianten, Schweregrade und ich hoffe, das wird beim Lesen berücksichtigt.
Ich habe seit vielen Jahren den Verdacht, dass mit mir »was nicht stimmt«. Ich bin anders als die meisten anderen Menschen. Ich nehme Emotionen anders wahr. Ich folge oft einer anderen sozialen Logik als andere. Und mein Kopf hält oft einfach nicht die Fresse.
Ich werde beim Arbeiten aufs Massivste unkonzentriert, wenn um mich herum große Bewegungen zu verzeichnen sind oder es laut ist und ich nicht für die Lautstärke verantwortlich bin. Ich werde z. B. auch da sehr wütend. Wenn Kollegen sich lautstark unterhalten. Oft kam es vor, dass ich auf Toilette gegangen bin. Nicht um auf die Toilette zu gehen. Sondern um meine Ruhe zu haben. Für 2-3 Minuten. Denn das ist der einzige Ort, wo keiner war.
Wenn ich beim Reden unterbrochen wurde, hab ich mir angewöhnt, den Satz, den ich gerade sagen wollte, innerlich solange zu wiederholen, bis ich wieder zu Wort komme. Und dann laut zu sagen. Das Problem: Ich kann dem Gespräch kaum noch folgen, weil ich mich auf das, was ich sagen will, konzentriere. Klar kommen Teile der Unterhaltung in meinem Kopf an und ich versuche dann auch den Eindruck zu erwecken, dass ich zugehört habe. Aber … das ist schwer.
Ich kann Menschen auch nicht lange in die Augen schauen. Selbst meinen Männern nicht. Ich finde das unfassbar unangenehm. Und bei Gesprächen, wo man Augenkontakthalten muss, wie z. B. Arbeit, fühle ich mich danach unheimlich unwohl. Es ist sehr anstrengend, und auch wenn es keinen Grund gibt, unheimlich peinlich für mich. Ich mag auch zu viele Menschen nicht, das haben wir ja schon oft festgestellt. Sobald zu viele Menschen um mich rum sind, werde ich still und schalte auch irgendwo ab. Wenn Alkohol im Spiel ist, ab einer gewissen Menge, kehrt das etwas um. Das liegt aber auch daran, dass meine Hemmschwelle sehr, sehr sinkt.
Ich bin nicht gerne unterwegs. Ich bin lieber in meinem Reich, wo ich die Regeln weitestgehend für mich bestimmen kann. Auch das mit den (gerade positiven) Emotionen ist ein starker Indiz für sowas und vor allem, dass ich Hilfe brauche menschliches Handeln zu verstehen. Nur merken kann ich es mir irgendwie nie.
Und seit Jahren denke ich, dass ich vielleicht eine leichte Form des Autismus (Oder etwas ähnliches) aufweise. Auch wenn ich meine Kindheit Revue passieren lasse, könnte das durchaus sein. Ich war schon immer anders, als die anderen Kindern und es gab auch erwachsene, die fragten, ob bei mir irgendwas falsch lief.
Alle Ängste dieses Projekts, und die Maske die man versucht aufrecht zu erhalten, rauben mir viel Energie und vielleicht, nur vielleicht, ist das auch der Grund, warum ich dauerhaft müde bin und mich nie wach und ausgeruht fühle. Egal wie wenig oder viel ich schlafe.
Auch habe ich einige Selbsttests gemacht (von Seiten, die auch wirklich den Eindruck erwecken, dass sie sich damit auskennen) und meine Ergebnisse waren zwar nicht exorbitant hoch, aber schon ziemlich erhöht. Mein Zino hat mal den Test auch gemacht. Und der Unterschied war zwischen uns schon extrem.
Allerdings habe ich Angst mich darauf untersuchen zu lassen. Das ist ein langwieriger Prozess der erfordert, dass ich mir freinehmen und meine Kollegen die Arbeit machen lassen muss. Und dann das, was man so in der Welt mitbekommt, wie mit bekennenden oder »offensichtlichen« Autisten umgegangen wird, macht einem auch Angst. Das ist mir auch beim Welpenprojekt zu den »Besonderen Wuffeln« aufgefallen.
Angst vor Ablehnung oder, dass sich das ganze Leben ändert. Das andere einen nicht mehr Wertschätzen, weil man nicht normal im Kopf ist. Ich sollte es vermutlich für mich tun. Alleine, um endlich zu wissen, warum ich so … anders bin … wie ich halt bin. Aber ich scheue zum einen den Aufwand und zum anderen die Veränderung, die es mit sich bringen könnte.
Und wenn es nicht das ist, weiter im Ungewissen zu leben, was falsch läuft. Und außerdem verlangt es, dass ich die Maske, die ich mein ganzes Leben versuche aufrecht zu erhalten, abnehme und so lebe, wie ich nun mal bin. Und das, macht mir nochmal so viel Angst, wie alle Ängste aus dieser Staffel zusammen.
Gerry
4 Kommentare zu „Gerry 365 #214: 02.08. – ANGST Staffel 2: Spezial #3 – Autismus“
Nicht, dass ich ein Problem mit Autismus hätte, aber… für mich klingt nichts von dem, was du geschrieben hast, nach Autismus. Viele von diesen Dingen mach ich auch oder sie treffen ebenfalls auch auf mich zu. Aber das ist eher die Beschreibung eines introvertierten Charakters. dogger4Think
Störgeräuschen ausweichen zu wollen ist normal auf Arbeit, denn die stören die Konzentration. Das geht mir schon so wenn zwei Mitarbeiter neben mir sitzen und sich in normaler Lautstärke unterhalten. Oder wenn einer ein paar Meter neben mir steht und nur sein Zeug durchblättert. dogger4Shrug Ich glaube das geht jedem irgendwo so, wenn man gerade versucht sich auf Dinge zu konzentrieren. Da ist selbst das Anspitzen eines Bleistifts pure Folter. Und du bist nicht der Einzige, der sich bei sowas auf Toilette verzieht, wenn es ihm zu viel wird. Deswegen nennt man es ja auch … das „stille Örtchen“. Obwohl es meiner Erfahrung nach weniger still ist, wenn Leute da wirklich hingehen um dem Ruf der Natur zu folgen. Nun wirklich nicht. dogger4OMG
Und wie das ist, wenn ich beim Reden unterbrochen werde, weißt du: BLICK DES TODES. dogger4Rage Und wartet bis Monsieur Wichtigtuer endlich mal fertig ist, damit ich meinen Satz zu Ende bringen kann, dessen erste Hälfte alle anderen bereits vergessen haben, nur damit einer ankommt von wegen „Aber das hat xyz doch gerade eben schon gesagt?“ Ja, aber hätte man mich ausreden lassen… wär ich dem zuvor gekommen. dogger4NotSure
Interessanterweise spielst du im Stream gerade das Spiel, was sich genau um diese Thematik „eigene Welt“ dreht, wie du sicherlich schon gemerkt hast. Und das kann ich dir ganz spoilerfrei sagen. dogger4Derp Ein Grund, warum ich ein Reisemuffel bin, ist der, dass ich lieber in meiner gewohnten Umgebung bin, mich mit gewohnten Personen umgebe. Immer dieselben Spiele, oder dieselbe Art Spiele. Oder immer wieder dieses eine Lied, was ich morgens gerne höre auf dem Weg zur Arbeit. Das wäre „meine Welt“, in die im Normalfall kein anderer rein darf und die ich auch nicht gerne verlasse. Eigentlich tu ich das auch nur deswegen, damit sie mir erhalten bleiben. Wie Arbeit, Einkäufe, solche Dinge die einen immer wieder in unvorhersehbare Situationen befördern. Aber ich denke diese Abneigung fällt eher unter die Kategorie „Selektiver Mutismus“. Wenn man in Schweigen verfällt, wenn man unbekannten Personen oder Situationen begegnet und ein allgemeines Gefühl von Unwohlsein hat, wenn man an und in solche gerät.
Wovon ich aber abrate, sind solche online Tests, denn letztendlich kommt dabei nichts Hilfreiches bei raus, außer der Aussage „Wir sind natürlich keine Psychologen, wenn ihr also glaubt, dass euch das betrifft, sucht euch einen!“ Und letztendlich musst du wohl genau das tun, wenn du dir sicher sein willst, denn solche online Tests werden dir nur sagen, was du hören willst. Und ein bisschen spielt das Unterbewusstsein mit und beeinflusst die eigenen Antworten. Wenn du also schon denkst, dass du Autist sein könntest und so einen Test machst, ist es wahrscheinlicher, dass du Antworten wählst, die dir genau dieses Ergebnis bringen. Und anders herum genau so.
Fun fact, ich hab gerade neulich einen Autisten kennen gelernt, mit dem ich mich richtig gut verstehe. Wäre die Entfernung und Corona nicht, hätten wir uns bestimmt auch schon getroffen. dogger4Think Autisten sind mir mittlerweile auch viele begegnet und ja, einige davon können anstrengend sein. Aber das ist kein Todesurteil, es sind auch nur Menschen und es gibt für mich keinen Grund sie auszuschließen. Oder dich. dogger4Luv
wenn du so einen Test machen willst und Angst davor hast, wie die anderen damit umgehen – sag es denen nicht…
Einerseits hast du die Gewissheit und andererseits muss man es ja auch keinem auf die Nase binden. Man geht ja auch zu niemanden hin und sagt: Hallo, ich bin XXXX und hab Autismus. dogger4Think
Wenn es dich beruhigt zu wissen, dass es so wäre, dann mach den Test – für deine Kollegen kannst du so einen Termin ja langfristig ankündigen (also den privaten Termin muss ja nicht begründet werden) und entsprechen die Arbeit vorbereiten oder so machen, dass die nicht zu viel übernehmen müssen (oder eben krank ist Krank mit Attest vom Doc) dogger4Notice
Wer dich bereits kennt, wird sich wegen sowas hoffentlich nicht abwenden, wobei man dann auf diese Personen auch verzichten kann dogger4Shrug
Und dein „Anderssein“ macht dich doch schließlich zu dem was du bist dogger4Hug
In meinen Augen gibt’s nur eine Lösung – Lass dich professionell testen. dogger4Sip
Du hast immerhin genug Menschen um dich herum, die dich, unabhängig vom Ergebnis, weiter so nehmen wie du bist.
Allen voran Hati und mich.
Ich nehm dich die letzten 12 Jahre schon so wie du bist. Ob du nun neurotypisch bist oder nicht, habe ich nie hinterfragt. Du hast einfach deine Schrullen, die dich zu dir machen. Schrullen, die ich mitunter auch an dir liebe. dogger4Luv
Ich selber brauche keine Gewissheit oder irgendwelche Begründungen für dein Verhalten und deine Eigenarten. Auch nicht als Rechtfertigung. Du bist Gerry – mein wundervoller Mann, für den ich mein letztes Hemd geben würde. Daran ist rein gar nichts falsch und daran wird sich auch nie was ändern.
Den Test solltest du schlussendlich nur aus einem Grund machen – für deine eigene Gewissheit.
Ich denke ein Test auf Autismus wäre gut für dich, damit du dich selber besser verstehen kannst. Das bedeutet ja nicht unbedingt, dass es jeder wissen muss. Man lernt dich schließlich so kennen wie du bist und auch ohne es zu wissen kann man dich mögen, oder eben nicht. Mir persönlich wäre es egal, ob du nun Autist bist oder nicht, ich liebe dich und werde es auch weiterhin tun dogger4Luv